Es gibt starke Signale, dass die Zusammenarbeit zwischen Indien und Deutschland im IT-Bereich in eine neue Phase eintritt. Bisher lag der Fokus darauf, dass deutsche Unternehmen indische IT-Experten einstellen und IT-Aufgaben in indische Niederlassungen verlagern sowie Softwareentwicklung und Business-Process-Management-Dienstleistungen an indische Firmen auslagern.
Auf dem deutschen Markt sind bereits seit einigen Jahren meist große indische IT-Unternehmen wie Tata Consultancy Services, Infosys und Wipro präsent. Die Gesamtpräsenz indischer IT-Unternehmen auf dem deutschen Markt war jedoch bislang recht begrenzt. Dies könnte sich bald ändern, da immer mehr indische IT-Unternehmen das enorme Potenzial des deutschen Marktes entdeckt haben.
Deutsch-indischer digitaler Dialog
Angesichts der voranschreitenden Digitalisierung und des Mangels an IT-Experten in Deutschland besteht zudem ein starkes Interesse der deutschen Wirtschaft und der Bundesregierung, die deutsch-indische IT-Kooperation auszubauen. Bereits 2017 hatten Deutschland und Indien den Indo-German Digital Dialogue ins Leben gerufen, der darauf abzielt, günstige Rahmenbedingungen für eine digitale Transformation beider Volkswirtschaften zu gestalten.
Geleitet wird der Dialog vom Bundesministerium für Digitalisierung und Verkehr (BMDV) und dem indischen Ministerium für Elektronik und Informationstechnologie (MeitY).
Unterzeichnung des MoU zwischen BVMW und NASSCOM
Im Rahmen des Indo-German Digital Dialogue haben der Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW e.V.) und Indiens National Association of Software and Service Companies (NASSCOM) am 1. Juni 2022 auf der Hannover Messe eine Absichtserklärung (Memorandum of Understanding – MoU) zur Vertiefung ihrer Zusammenarbeit unterzeichnet. Hochrangige Vertreter aus der Politik, darunter Parvathaneni Harish, Botschafter Indiens in Deutschland, und Benjamin Brake, Leiter der Abteilung Digital- und Datenpolitik im Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV), nahmen an der Unterzeichnung des MoU teil, die in eine Veranstaltung mit dem Titel „Digital Transformation Journey – made easy by Indo-German Partnership“ eingebettet war.
Podiumsdiskussion zur deutsch-indischen IT-Zusammenarbeit
Der zweite Teil der Veranstaltung bestand aus einer Podiumsdiskussion die darauf abzielte, die Chancen und Herausforderungen der deutsch-indischen IT-Zusammenarbeit zu erkunden. Podiumsteilnehmer waren William Pike, Global Practice Director – Industry 4.0 beim indischen Technologieunternehmen Cyient, Friedrich Schraml, ein deutscher Experte für IT-Sicherheit und Datenschutz, Marcel Nebel, Gründer und CEO des deutschen KMU OPTANIUM GmbH, und ich, Milon Gupta, Strategieberater für eine nachhaltige Unternehmensentwicklung. Die Podiumsdiskussion wurde von Gagan Sabharwal, Senior Director – Global Trade bei NASSCOM, geleitet.
Die Podiumsdiskussion beleuchtete sowohl die Chancen als auch die Herausforderungen für die deutsch-indische IT-Zusammenarbeit. Die Chancen beruhen vor allem auf der Komplementarität zwischen der deutschen Industrie, die in Branchen wie Fertigung, Automobil und Pharma weltweit führend ist, und der indischen IT-Industrie, dem weltweit größten Exporteur von IT-Dienstleistungen. Diese Komplementarität bietet ein hohes Potenzial für die Zusammenarbeit durch Co-Creation und strategische Allianzen.
In weltweiten Digitalisierungsrankings liegt Deutschland derzeit nur im Mittelfeld. Die Digitalisierung hat sich jedoch während der Covid-19-Pandemie beschleunigt und wird voraussichtlich schnell voranschreiten, da Informations- und Kommunikationstechnologien eine zentrale Rolle bei der Bewältigung großer Herausforderungen wie Klimaneutralität, Cybersicherheit und intelligente Mobilität spielen.
Während das Marktpotenzial riesig ist, gibt es auch erhebliche Hindernisse für indische KMU, die beabsichtigen, sich auf dem deutschen IT-Markt zu engagieren: 1. Wettbewerb – IT-Anbieter aus den USA, Deutschland und anderen Ländern stellen starke Wettbewerbsherausforderungen dar, da sie über große Marktanteile und langjährige Kundenbeziehungen verfügen; 2. Compliance – Die Einhaltung des hohen Regulierungsniveaus in der EU und in Deutschland in Bereichen wie Arbeitsrecht und Datenschutz kann für Neueinsteiger eine schwierige Aufgabe sein; 3. Kultur – Managementansätze, Kommunikationsstile und Arbeitsprozesse in deutschen Unternehmen können aus indischer Sicht durchaus unterschiedlich sein, was die Effektivität von Geschäftsakquise und Leistungserbringung zumindest anfänglich einschränken könnte.
Es besteht ein starkes beiderseitiges Interesse, die deutsch-indische IT-Zusammenarbeit auszubauen. Die Aussichten sind sehr vielversprechend und die Herausforderungen überschaubar. Insgesamt überwiegen die Chancen der deutsch-indischen IT-Zusammenarbeit deutlich die Herausforderungen. Durch strategische Allianzen könnten indische und deutsche KMU im IT-Sektor ihre Geschäftsrisiken deutlich reduzieren und gleichzeitig ihre Wettbewerbsfähigkeit und Wachstumsaussichten steigern.