Für die große Mehrzahl der mittelständischen Unternehmen in Deutschland hat Nachhaltigkeit einen hohen Stellenwert. Laut einer Commerzbank-Studie aus dem Jahr 2021 halten mehr als 70 Prozent der befragten Mittelständler nachhaltiges Handeln und Produzieren für notwendig, um die Zukunftsfähigkeit ihres Unternehmens zu sichern. Knapp 70 Prozent sehen in Nachhaltigkeit eine Chance für eigenes Wachstum und stärkere Wettbewerbsfähigkeit.
Zugleich ergab die Studie, dass nur gut ein Drittel aller befragten Unternehmen 2021 eine Nachhaltigkeitsstrategie hatte. Bei knapp einem weiteren Drittel war eine in Planung und ein Drittel hatte gar keine Nachhaltigkeitsstrategie. Zu ähnlichen Ergebnissen kam eine PwC-Studie von 2023. Danach haben 60% der befragten mittelständischen Unternehmen erkannt, dass sie die Nachhaltigkeits-Transformation vorantreiben müssen. Allerdings fehlt den meisten eine ganzheitliche Strategie zur konsequenten Umsetzung.
Mein Eindruck ist, dass die meisten mittelständischen Unternehmen nachhaltiger werden wollen und auch einige punktuelle Maßnahmen, beispielsweise zur Energieeinsparung, ergriffen haben. In den meisten Fällen fehlt Mittelständlern jedoch eine klare Nachhaltigkeitsstrategie. Das führt dazu, dass viele Mittelständler gewaltige Geschäftschancen liegen lassen und ihre Wettbewerbsfähigkeit riskieren, wie ich bereits in meinem Blogartikel zum Thema „Strategische Nachhaltigkeit“ beleuchtet habe.
Für die Entwicklung und Umsetzung einer effektiven Nachhaltigkeitsstrategie als Teil der Unternehmensstrategie empfehle ich die folgenden fünf Schritte:
Schritt 1: Doppelte Wesentlichkeitsanalyse durchführen
Die doppelte Wesentlichkeitsanalyse ist der Ausgangspunkt für die Erarbeitung der Nachhaltigkeitsstrategie. Dabei wird die Wesentlichkeit von Nachhaltigkeitsaspekten immer aus zwei Perspektiven zu betrachten ist: einerseits aus der Inside-Out-Perspektive (Wirkungs-Wesentlichkeit) und andererseits aus der Outside-In Perspektive (Finanz-Wesentlichkeit).
Die Inside-Out Perspektive dient dazu, die tatsächlichen und potenziellen positiven und negativen Auswirkungen des Unternehmens auf Umwelt und Gesellschaft zu erfassen. Die Outside-In-Perspektive betrachtet Chancen und Risiken von Nachhaltigkeitsaspekten für die finanzielle Lage und Zukunftsfähigkeit des Unternehmens.
Die doppelte Wesentlichkeitsanalyse erfordert ein systematisches Vorgehen, um zu belastbaren Ergebnissen zu kommen. Dazu gehört, intern einen relativ breiten Kreis am Sammeln, Gewichten und vorläufigen Priorisieren von wesentlichen Themen zu beteiligen. Außerdem sollten Unternehmen eine erste Themenauswahl zur weiteren Priorisierung mit externen Stakeholdern, wie Kunden, Lieferanten, Investoren und Repräsentanten aus Kommunen und Nichtregierungsorganisationen diskutieren.
Am Ende dieses Prozesse steht dann eine Wesentlichkeits-Matrix, in der die wesentlichen Themen entsprechend ihrer jeweiligen Inside-Out/Outside-In-Wirkung einem der vier Quadranten zugeordnet sind. Aus dieser Matrix ergibt sich, welche Themen für die weiteren Schritte vorrangig sind.
Schritt 2: Nachhaltigkeitsziele setzen
Die Nachhaltigkeitsziele sollten primär Themen im Unternehmen adressieren, die in der doppelten Wesentlichkeitsanalyse sowohl hinsichtlich ihrer finanziellen Wirkung auf das Unternehmen (Outside-In) als auch in Bezug auf die Wirkung des Unternehmens auf Umwelt und Gesellschaft (Inside-Out) hoch eingestuft worden sind.
Angenommen die Lieferkette für ein Produkt des Unternehmens ist als doppelt wesentliches Thema identifiziert worden. In diesem Fall könnte ein Ziel sein, die soziale und ökologische Nachhaltigkeit der Lieferkette zu erhöhen. Dieses Ziel gilt es, so zu konkretisieren, dass der aktuelle und angestrebte Stand messbar sind. Anders ausgedrückt, braucht das Unternehmen Leistungskennzahlen (Key Performance Indicators – KPIs), um den Grad der Zielerreichung bestimmen zu können.
Im Lieferketten-Beispiel könnte ein sozialer Indikator sein, dass es nirgendwo in der Lieferkette Kinderarbeit und Zwangsarbeit gibt. Als ökologischer Indikator könnte gelten, dass in allen Teilen der Lieferkette die jeweiligen lokal geltenden Umweltgesetze eingehalten werden, zum Beispiel in Bezug auf Höchstwerte für Schadstoff-Emissionen.
Zahl und Inhalt der Nachhaltigkeitsziele sollten ambitioniert und unter optimistischen Annahmen erreichbar sein. Wenn es leicht fällt, das Ziel zu 100 % zu erreichen, war es nicht ambitioniert genug. Ein Ziel, welches das Unternehmen am Ende nur zu 80 % erreicht, wäre besser, da es die Fähigkeiten der Organisation an die Grenzen bringt und weiterentwickelt.
Die Geschäftsführung sollte beim Entwickeln der Ziele die Abteilungen, die für die Umsetzung zuständig sein werden, von Anfang an aktiv einbeziehen. Das erhöht die Akzeptanz der Ziele und damit die Chance sie zu erreichen. Zusätzlich sollten die Ziele unternehmensweit transparent kommuniziert werden. Die meisten Nachhaltigkeitsziele überschreiten die Grenzen einzelner Bereiche und Abteilungen. Deswegen ist es wichtig, dass alle Beschäftigten die Ziele kennen und verstehen.
Schritt 3: Maßnahmenplan entwickeln
Für jedes Nachhaltigkeitsziele sollte es eine verantwortliche Person geben, die dafür zuständig ist, die entsprechenden Maßnahmen für das Erreichen dieses Ziels jährlich zu erarbeiten.
Ein Koordinator auf Geschäftsführungebene fügt die entsprechenden Inputs zu einem Maßnahmenplan zusammen, der Verantwortlichkeiten, Detailziele, Leistungsindikatoren, Meilensteine und Ressourcen beinhaltet. Die Koordination der Maßnahmen in einem Gesamtplan ist wichtig, um potentielle Ressourcen-Konflikte oder andere Projektrisiken rechtzeitig zu erkennen und ihnen vorzubeugen oder geeignete Gegenmaßnahmen vorzubereiten.
Schritt 4: Maßnahmenplan umsetzen
In der Umsetzungsphase brechen die jeweiligen Ziel-Verantwortlichen die grob geplanten Maßnahmen in operative Detailziele und Aufgaben herunter. Das erleichtert die Steuerung der Umsetzung und das Delegieren der jeweiligen Detailziele und Aufgaben, so dass die Ziel-Verantwortlichen nicht Gefahr laufen, alle Umsetzungs-Aufgaben zu mikro-managen. Zentral für die Umsetzung ist, dass alle beteiligten Mitarbeitenden ihre jeweiligen Aufgaben und deren Sinn verstehen und mitgestalten können. Gerade bei neuen und anspruchsvollen Aufgaben sollten die verantwortlichen Manager sich die Zeit nehmen, die Umsetzungsaufgaben auf Augenhöhe zu diskutieren und zu vereinbaren.
Im Fall eines übergeordneten Nachhaltigkeitsziels für die Lieferkette wären zum Beispiel die Mitarbeitenden im Einkauf von Anfang an aktiv einzubeziehen, um eine effektive Umsetzung der Maßnahmen zu gewährleisten.
Schritt 5: Umsetzungsfortschritt kontrollieren
Es ist unrealistisch anzunehmen, dass der Maßnahmenplan zu 100 % wie geplant umgesetzt werden kann. Abweichungen werden die Regel sein. Damit die Abweichungen im Rahmen einer tolerablen Bandbreite bleiben, ist es wichtig, dass das Nachhaltigkeitsteam regelmäßig den Umsetzungsfortschritt kontrolliert, beispielsweisen in monatlichen Treffen.
Starke Abweichungen sollten in einer Kernursachen-Analyse genauer betrachtet werden, um genauer zu verstehen, was passiert. Je nach den gewonnenen Erkenntnisse könnte das Planungsteam den Maßnahmenplan überprüfen und gegebenfalls anpassen.
Bei anhaltenden, extremen Abweichungen, die nicht unter Kontrolle des Unternehmens sind, wären eventuell auch die Nachhaltigkeitsziele selbst zu überprüfen und nachzujustieren. Das sollte jedoch mit Vorsicht getan werden, um zu vermeiden, dass das Ambitions-Niveau der Ziele so weit runtergeschraubt wird, dass die Ziele zu 100 % erreicht werden. Je nach Unternehmen braucht es dafür möglicherweise auch einen Kulturwandel. Die Beschäftigten sollten in dem Vertrauen darauf arbeiten, dass es aus Sicht des Managements in Ordnung ist, wenn Ziele nicht zu 100 % erreicht werden, vorausgesetzt alle tun ihr Bestes, um die Ziele so weit wie möglich zu erreichen.
Fazit
Unternehmen, die sich die Mühe machen, eine effektive Nachhaltigkeitsstrategie zu entwickeln und umzusetzen, werden für ihre Anstrengungen in aller Regel mittelfristig durch höhere Wettbewerbsfähigkeit und Profitabilität belohnt. Mittelständische Unternehmen, die seit Jahren Vorreiter beim Thema Nachhaltigkeit sind, wie zum Beispiel Vaude (Outdoor-Ausrüstung), Weleda (Naturkosmetik) oder Faber-Castell (Schreibwaren), zeigen, dass Nachhaltigkeit und Unternehmenserfolg Hand in Hand gehen können.
Unternehmen, die auf ihrem Weg zu mehr Nachhaltigkeit kompetente Unterstützung suchen, können gern ein kostenfreies Erstberatungsgespräch mit mir vereinbaren. Unabhängig davon, ob Unternehmen den Weg zu strategischer Nachhaltigkeit mit externer Unterstützung gehen möchten, empfehle ich, sich sehr bald auf den Weg zur nächsten Nachhaltigkeits-Stufe zu machen, um dauerhaft wettbewerbsfähig zu bleiben.