Die Menschheit hinkt ihren Zielen zur Begrenzung der Erderwärmung hinterher. Net Zero bietet die Chance, diese Ziele noch zu erreichen. Unternehmen spielen dabei eine zentrale Rolle.
Im Juni 2024 erinnerte UN-Generalsekretär António Guterres die Weltgemeinschaft in eindringlichen Worten daran, die Treibhausgasemissionen drastisch zu reduzieren. Nur wenn alle Ländern einen Net-Zero-Weg einschlügen, könne das im Pariser Abkommen vereinbarte Ziel erreicht werden, die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit zu beschränken. Wenn die Menschheit weiter jährlich rund 40 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalente (CO2e) in the Atmosphäre blase, wäre das zum Erreichen des 1,5-Grad-Ziels verbleibende CO2e-Budget von 200 Milliarden Tonnen bis 2030 aufgebraucht. Um auf den Net-Zero-Weg zu kommen, wären weltweit jährlich CO2e-Emissionsverringerungen von 9 % bis 2030 erforderlich. Stattdessen stiegen die Emissionen 2023 um 1 %.
Wie fast alle anderen Länder, die das Pariser Abkommen unterzeichnet haben, ist auch Deutschland noch nicht auf dem Net-Zero-Weg, obwohl es laut deutschem Klimaschutzgesetz bis 2045 treibhausgasneutral sein will. Für alle Akteure, einschließlich Unternehmen, bedeutet das dringenden Handlungsbedarf. Viele Unternehmen haben sich bereits Net Zero zum Ziel gesetzt, doch die meisten ringen noch mit den Details ihrer Net-Zero-Strategie.
Bevor ich näher erläutere, welche Net-Zero-Strategien Unternehmen zur Verfügung stehen, möchte ich zunächst erläutern, was Net Zero eigentlich genau bedeutet.
Was Net Zero bedeutet
Net Zero ist die Kurzform von Net Zero Emissions, auf Deutsch: Nettonull-Emissionen. Der Begriff bezeichnet den Zustand, in dem ein Unternehmen, eine Region oder ein Land genauso viel Treibhausgas (THG) ausstößt, wie es durch natürliche oder technische Prozesse aus der Atmosphäre entfernt. Das Ziel von Net Zero ist es, den Nettoausstoß von Treibhausgasen, gemessen in CO2-Äquivalenten (CO2e), auf null zu reduzieren, um den Klimawandel zu bremsen und die globale Erwärmung auf unter 1,5 °C zu begrenzen.
Der Weg zu Net Zero umfasst sowohl die Reduzierung der Emissionen als auch den Ausgleich unvermeidbarer Emissionen durch Maßnahmen wie Aufforstung, Carbon-Capture-Technologien oder den Einsatz von erneuerbaren Energien.
Einige Kritiker des Net-Zero-Konzepts haben bemängelt, dass Unternehmen, die Net-Zero-Ziele verkündet haben, diese zu einem großen Teil mit Kompensationsmaßnahmen erreichen wollen. Dadurch könnten die gesamten CO2e-Emissionen nicht rechtzeitig auf null gesenkt werden. Denn einerseits würden viele Kompensationsmaßnahmen, wie das Pflanzen von Bäumen, nur langfristig emissionssenkende Wirkung zeigen. Außerdem gebe es das Risiko von Doppelanrechnungen und überschätzten Senkungseffekten.
Diese berechtigten Einwände lassen sich nur durch einen rigorosen Standard für Net-Zero-Ziele ausräumen. Der wichtigste Standard in diesem Bereich ist der Corporate Net-Zero Standard der Science Based Targets Initiative (SBTi).
Der SBTi Corporate Net-Zero-Standard
Die Science Based Targets initiative (SBTi) wurde 2015 gegründet, um Unternehmen dabei zu unterstützen, ihre Ziele zur Emissionsreduktion nach dem Pariser Klimaabkommen auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse festzulegen.
Im Oktober 2021 entwickelte SBTi den weltweit ersten Net-Zero-Standard für Unternehmen, dessen jüngste Version 1.2 im März 2024 veröffentlicht wurde. Der Standard bietet Unternehmen einen konsistenten Rahmen, um wissenschaftlich fundierte Netto-Null-Ziele festzulegen. Er ist komplementär zum Greenhouse Gas Protocol, das als weit verbreiteter De-facto-Standard die Einzelheiten der Treibhausgas-Bilanzierung definiert.
Der Corporate Net-Zero Standard definiert vier Schlüsselelemente:
- Ein kurzfristiges, wissenschaftlich fundiertes Ziel. Das kurzfristige CO2e-Reduktionsziel hat einen Zeithorizont von 5 bis 10 Jahren.
- Ein langfristiges, wissenschaftlich fundiertes Ziel. Das langfristige CO2e-Reduktionsziel ist spätestens 2050 zu erreichen.
- Die Neutralisierung jeglicher Rest-Emissionen. Neutralisierung bedeutet permanente Entfernung von Treinhausgasen aus der Atmosphäre und deren Speicherung.
- Die Emissions-Minderung über die Wertschöpfungskette hinaus. Damit sind emissionsmindernde Maßnahmen außerhalb von Scope 1, 2 und 3 des Unternehmens gemeint, die zu messbaren positiven Wirkungen für Mensch und Natur führen.
SBTi empfiehlt im Standard einen fünfstufigen Prozess zum Festlegen von wissenschaftlich fundierten Zielen:
- Basisjahr wählen:
Unternehmen müssen ein Basisjahr festlegen, um die Emissionsleistung über den Zielzeitraum hinweg konsistent und aussagekräftig zu verfolgen. - Unternehmens-Emissionen berechnen:
Unternehmen müssen über ein umfassendes Emissionsinventar verfügen, das mindestens 95 % der unternehmensweiten Treibhausgasemissionen der Bereiche 1 und 2 abdeckt und ein vollständiges Inventar des Bereichs 3 enthält. - Zielgrenzen festlegen:
Kurzfristige, wissenschaftlich fundierte Ziele müssen mindestens 95 % der unternehmensweiten Emissionen der Bereiche 1 und 2 abdecken. Wenn die Emissionen des Bereichs 3 40 % oder mehr der Gesamtemissionen (Emissionen des Bereichs 1, 2 und 3) ausmachen, müssen Unternehmen ein oder mehrere Emissionsreduktionsziele und/oder Ziele für die Einbindung von Lieferanten oder Kunden festlegen.
Langfristige SBTs müssen mindestens 95 % der unternehmensweiten Emissionen des Bereichs 1 und 2 und 90 % der Emissionen des Bereichs 3 abdecken. - Zieljahr wählen:
Kurzfristige Ziele müssen ein Zieljahr 5–10 Jahre nach dem Datum der Einreichung bei der SBTi haben, während langfristige Ziele ein Zieljahr von 2050 oder früher haben müssen. - Ziele berechnen:
Methoden zur Zielfestlegung: Wissenschaftlich fundierte Zielmethoden werden verwendet, um kurzfristige und langfristige Ziele auf der Grundlage eines Minderungspfads und der Unternehmenseingaben zu berechnen. Unternehmen können aus verschiedenen im Standard definierten Methoden wählen.
Es gibt wichtige Unterschiede bei der Festlegung kurzfristiger und langfristiger wissenschaftlich fundierter Ziele: Bei der Berechnung kurzfristiger Ziele hängt die Zielambition vom gewählten Basisjahr und Zieljahr ab. Andererseits hängt die Berechnung langfristiger Ziele nicht vom gewählten Zieljahr ab. Unternehmen müssen entweder das Corporate Net-Zero Tool verwenden, um langfristige wissenschaftlich fundierte Ziele zu berechnen, oder in einigen Fällen das entsprechende branchenspezifische Tool.
Net-Zero-Strategien für Unternehmen
Der SBTi Corporate Net-Zero-Standard unterstützt Unternehmen dabei, wissenschaftlich fundierte Ziele festzulegen und zu überprüfen. Er bietet jedoch kaum Unterstützung für die Entwicklung von Net-Zero-Strategien zum Erreichen der angestrebten Ziele.
Unternehmen, die sich nicht alles selbst von Grund auf erarbeiten und bereits bekannte strategische Fehler wiederholen möchten, können daher auf zwei Ressourcen zurückgreifen: Best Practices von Unternehmen, die bereits Net-Zero-Ziele nach dem SBTi-Standard verfolgen, und externe Strategieberatung. Das Ambitions-Niveau und die Entscheidungen für die konkrete Ausgestaltung der Net-Zero-Strategie können mit Hilfe dieser Ressourcen von der Unternehmensführung besser und schneller festgelegt werden.
Unternehmen haben dabei grundsätzlich drei strategische Optionen:
- Schrittweise Ökoeffizienz-Verbesserungen im bestehenden Geschäftsmodell
- Teilweise Veränderung des bestehenden Geschäftsmodells
- Grundlegende Veränderung des bestehenden Geschäftsmodells
Alle drei strategischen Optionen haben ihre Vor- und Nachteile. Welche am besten für das jeweilige Unternehmen passt, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Dazu gehören unter anderem: die CO2e-Intensität der Produkte und Dienstleistungen, Dekarbonisierungs-Stand und -Entwicklung der jeweiligen Branche sowie die Erwartungen der einflussreichsten Stakeholder.
Fazit
Die Net-Zero-Transformation könnte eine der wichtigsten Transformationen in der Menschheitsgeschichte werden. Damit sie gelingt braucht es weitaus mehr Unternehmen, die auf der Basis von wissenschaftlich fundierten Net-Zero-Zielen bis spätestens 2050 Nettonull-Emissionen anstreben, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu bremsen. Unternehmen benötigen dafür ein hohes Ambitions-Niveau, eine robuste Strategie und effektive Governance für die Umsetzung.
Das Entwickeln und Anpassen von Net-Zero-Strategien ist anspruchsvoll und die Umsetzung steckt voller Ungewissheiten und Risiken. Trotzdem sind Unternehmen gut beraten, sich auf den Net-Zero-Weg zu machen, da die Chancen die Risiken überwiegen. Allein die zu erwartendenden Steigerungen der CO2-Preise erhöhen die Wettbewerbschancen von Unternehmen, die konsequent dekarbonisieren. Weitere Vorteile sind höhere Kreditwürdigkeit und Arbeitgeberattraktivität.
Unternehmen, die auf ihrem Weg zu Net Zero kompetente Unterstützung suchen, können gern ein kostenfreies Erstberatungsgespräch mit mir vereinbaren.