Storytelling, das Erzählen von Geschichten, hat sich als effektives Führungswerkzeug in der beruflichen Kommunikation erwiesen. Oder wie der US-Psychologe Howard Gardner einmal sagte: „Jede große Führungspersönlichkeit ist ein großer Geschichtenerzähler“. Es ist daher nicht überraschend, dass Manager großer Unternehmen wie 3M, Nike, und Procter & Gamble sich Storytelling zu eigen gemacht haben. Die folgende Geschichte liefert ein konkretes Beispiel dafür, wie Storytelling in der Praxis für den Strategieprozess genutzt werden kann.
Die Wissensmanagement-Strategie
Kurz nachdem Melinda J. Bickerstaff Chief Knowledge Officer bei Bristol-Myers Squibb (BMS), einem amerikanischen Pharma-Unternehmen mit Hauptsitz in New York City, geworden war, stand sie vor einem Problem: Ihr Team hatte ein 50-seitiges Dokument zu einer vorgeschlagenen Wissensmanagement-Strategie für das Unternehmen geschrieben, und sie wusste, dass der Geschäftsführer von BMS es nie lesen würde. Sie schlug daher ihrem Team vor, die Essenz des Plans in einer Geschichte zu präsentieren. Der Vorschlag traf nicht auf große Begeisterung, wie Bickerstaff sich erinnert: „Sie schauten mich an, als ob ich vom Mars wäre.“
Bei der nächsten Team-Besprechung erklärte sie erneut, warum der Wissensmanagement-Plan als Geschichte präsentiert werden sollte, um die Aufmerksamkeit des Präsidenten zu erlangen. Diesmal war die Antwort: „Wir wissen nicht wie man das macht.“ Unbeirrt von diesem Mangel an Unterstützung versuchte sie es wieder bei einem dritten Team-Meeting. Und diesmal meldete sich ein kreatives Mitglied der Gruppe mit einem Vorschlag zu Wort, der nach einiger Diskussion angenommen wurde.
Als Bickerstaff den Geschäftsführer zwei Monate später vor einer Sitzung traf, gab sie ihm die Kopie eines Financial-Times-Artikels über BMS. Er nahm die Kopie mit in die Sitzung. Als er sie überflog, fesselte der Artikel direkt seine Aufmerksamkeit. Der Beitrag enthielt ein Foto von ihm und die Überschrift „Bristol-Myers Squibb als höchstplatzierte weltweites Pharma-Unternehmen genannt: Das Management von Wissenskapital zieht Top-BMS-Allianzen an – Blockbuster-Medikamente folgen“.
Er dachte: „Ich kann mich nicht an dieses Interview oder diese Foto-Aufnahme erinnern. Habe ich irgendwas verpasst?“ Dann dämmerte ihm, dass trotz es sich hier, trotz der Ähnlichkeit, nicht um einen Financial-Times-Artikel handelte, sondern um eine Geschichte über die Zukunft. Er verstand, was die Wissensmanagement-Gruppe ihm damit sagen wollte, erkannte die Vorteile des Plans für das Unternehmen und akzeptierte ihn letztendlich.
Diese Geschichte, die ich dem interessanten Buch Wake Me Up When the Data Is Over in überarbeiteter Form entnommen habe, beleuchtet eine Reihe von Vorteilen, die Storytelling bietet, wenn es richtig gemacht wird.
Vorteile von Storytelling
Storytelling bietet fünf wesentliche Vorteile um strategische Pläne, Ziele und Werte zu ntwickeln und kommunizieren sowie um die Strategieumsetzung voranzubringen.
Interesse
Seit den Tagen als unsere Vorfahren um Lagerfeuer saßen und sich gegenseitig Geschichten erzählten sind Menschen empfänglich für Geschichten. Beobachten Sie sich einmal selbst in einer beruflichen Besprechung, wenn der Vortragende A Folie für Folie durchgeht und Aufzählungspunkte und Abbildungen auf der Leinwand erklärt. Nach einer Weile wird die Aufmerksamkeit der meisten Menschen nachlassen. Im Vergleich dazu beginnt der Vortragende B mit einer Geschichte aus seiner persönlichen Erfahrung und zitiert nur einige wenige ausgewählte Fakten, die seine Erzählung unterstützen. Die Aufmerksamkeit der meisten Menschen wird bis zum Ende hoch bleiben, vorausgesetzt die Geschichte ist relevant.
Emotion
Einer der Gründe, warum Geschichten einnehmender sind als rein faktische Präsentationen, besteht darin, dass Geschichten oft eine emotionale Reaktion auslösen. Persönliche Geschichte vom Überwinden von Hindernissen und dem Erreichen von Zielen durch Zähigkeit laden die Zuhörer ein, sich mit dem Helden der Geschichte zu identifizieren und die Enttäuschung und Freude des Helden zu fühlen.
Motivation
Was denken Sie ist motivierender: eine Anordnung Ihres Vorgesetzten um ihre Ziele zu erreichen oder eine Geschichte, in der der Held seine Ziele durch Hartnäckigkeit erreicht? Die meisten Menschen außerhalb des Militärs reagieren automatisch mit einer gewissen Reserviertheit, sobald sie Anweisungen erhalten. Zumindest sind sie nicht besonders motiviert, wenn sie nicht ganz verstehen, warum sie etwas tun sollen.
Kontext
Bei 3M sind Aufzählungspunkte bereits Ende der 1990er verbannt worden. Stattdessen hat 3M „Strategic Narratives“ (strategische Erzählungen) eingeführt. Listen mit Aufzählungspunkten in Memos oder Folienpräsentationen erhöhen selten das Verständnis der Beziehungen zwischen verschiedenen Faktoren und vermitteln kein gutes Bild des gesamten Kontextes. Durch Erzählen können Sie mentale Bilder schaffen, die Entwicklungen, Beziehungen und Fakten in Zusammenhänge setzen.
Vision
Die Tatsache, dass gute Geschichten lebendige mentale Bilder schaffen, macht Storytellung zum idealen Werkzeug für das Kommunizieren einer Vision und um ein gemeinsames Verständnis über einen angestrebten zukünftigen Zustand in einer Gruppe von Menschen zu erreichen. Gemäß dem berühmten Zitat von Antoine de Saint-Exupery: „Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann rufe nicht die Menschen zusammen, um Holz zu sammeln, Aufgaben zu verteilen und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem großen, weiten Meer.“
Fazit
Strategisch denkende Führungskräfte sollten ihre Storytelling-Fähigkeiten pflegen. Geschichten sind ein effektives Werkzeug im Strategieprozess und für das Kommunizieren und Erreichen strategischer Ziele. Geschichten nehmen die Zuhörer mit auf eine Reise und können strategisches Denken und ein gemeinsames Verständnis fördern.
Lesen Sie auch mein ergänzendes Informationsangebot “Checklist and Resources for Strategic Storytelling” (auf Englisch).